Deutsch-Französische Gesellschaft Paderborn
Société franco-allemande de Paderborn
Deutschland und Frankreich in Europa – Grundlagen und Perspektiven
Ein Vortrag von Dr. Andreas Marchetti
Am Dienstag, dem 4. Juni konnten viele Mitglieder der DFG und auch zahlreiche Interessierte – darunter viele Studierende der ‚Etudes européennes‘ der Uni Paderborn – einem sehr umfassenden und interessanten Vortrag zuhören. Direkt nach der Europawahl referierte der Politikwissenschaftler und Frankreichkenner Dr. Andreas Marchetti über das Verhältnis von Deutschland und Frankreich und deren Perspektiven.
Zunächst gab er einen kurzen historischen Rückblick und zeigte auf, dass aus dem ausgeglichen Verhältnis während der Zeit im Kalten Krieg – Frankreich war als Siegermacht politisch stärker und Deutschland war wirtschafts- und währungspolitisch stärker werdend – nach der Wiedervereinigung eine Störung der Balance eintrat.
Es zeigt sich, dass im Zusammenhang mit ‚Europa‘ bereits seit Langem von ‚Krise‘ die Rede ist – auf der einen Seite die Eurokrise und die sog. ‚Flüchtlingskrise‘, auf der anderen Seite das Erstarken des Populismus und Euro-Austrittsideen.
Gründe sieht Marchetti in dem abnehmenden Vertrauen in die Europäische Union. Studien zeigen, dass seit 2010 die Mehrheit der Befragten nicht mehr der EU vertraut. Es sei aber völlig falsch, zu glauben, dass die Befragten zu Nationalstaaten tendieren, wie das Ergebnis europafeindliche Gruppierungen interpretieren möchten. Denn dieselben Umfragen zeigen auch, dass das Vertrauen in die nationalen Regierungen noch geringer ist. Besonders stark ist das Misstrauen gegenüber den politischen Parteien in Frankreich. Ein Zurück zur Nationalstaatlichkeit kann also nicht die Lösung sein.
Die Reaktionen auf diese Krise sind sehr unterschiedlich. Großbritannien möchte aus der EU austreten, viele andere europäische Staaten möchten aber eher den Zusammenhalt in Europa stärken. Allerdings gibt es keinen Konsens darüber, in welche Richtung es dabei gehen soll.
Marchetti zeigt weiterhin auf, wie unterschiedlich Frankreich und Deutschland an viele europapolitische Themen herangehen. Schon sprachlich mache sich der Unterschied deutlich: Die Franzosen sprechen viel empathischer vom ‚couple franco-allemand‘ (dem deutsch-französischen Paar) und die Deutschen viel technischer vom ‚deutsch-französischen Motor oder der deutsch-französischen Zusammenarbeit‘.
Während Frankreich mehr Bürgermitbestimmung in Europa möchte und sog. ‚Avantgarde-Gruppen‘, bei denen einzelne Politikfelder von einigen europäischen Staaten vorangetrieben werden ohne auf alle Staaten zu warten, installieren möchte, ist Deutschland eher zögerlich, möchte den Status quo wahren und neigt weniger zu Vertragsreformen. Auch in der Rüstungsexportpolitik existieren grundlegende Unterschiede. Macron setze auf einen Eurozonen-Haushalt, der schwächere Regionen ausgleicht und auf soziale Grundsicherung bei europaweitem Mindestlohn, während Deutschland den Fokus auf mitgliedsstaatliche Eigenverantwortung legt und Ansätze einer ‚Tranferunion‘ ablehnt.
Marchetti betont, dass Deutschland und Frankreich innenpolitisch außer Takt sind. Als Macron seine Sorbonne-Rede hielt, ging er davon aus, dass nach der Wahl in Deutschland zügig eine neue Regierung zustande kommt, da man Deutschland immer noch mit ‚Stabilität‘ in Verbindung bringt. Da Deutschland lange Zeit mit der Regierungsbildung und dann mit den Problemen der GroKo beschäftigt war, verpufften die französischen Ideen zur Erneuerung Europas. Gerade in Zeiten der Gelbwesten-Bewegung benötigt Macron aber europäische Ergebnisse.
Marchetti sieht Chancen in Europa mit einer positiven Differenzierung, bei der verschiedene Länder in unterschiedlichen Bereichen zusammenarbeiten. So werde Europa handlungsfähiger. Er setzt sein Vertrauen darauf, dass bei erfolgreicher Zusammenarbeit die anderen Länder folgen werden. Wichtig sei auch die Bürgerbeteiligung und die Wirkung Europas deutlich zu machen, so dass Europa lokal erfahrbar wird. Es müssen persönliche Begegnungen gefördert werden und möglichst viel Transparenz in die Politik gebracht werden.
Schließlich fasst Marchetti zusammen: Es muss erfahrbar werden, dass man alleine doch nicht so stark ist wie zusammen.