Deutsch-Französische Gesellschaft Paderborn
Société franco-allemande de Paderborn
Raubkunst – Debatten über die ethnologische Sammlung im Humboldt Forum Berlin
Raubkunst als „symbolisches Kapital“ – so bezeichnet Prof. Dr. Claudia Öhlschläger in Anlehnung an einen Begriff des französischen Soziologen Pierre Bourdieu die Kunst, die während der Kolonialzeit „gesammelt“ wurde. Gemeint ist, dass diese für uns zunächst ‚exotische‘ Kunst aus fernen Ländern weniger zu wissenschaftlichen Zwecken oder aus ökonomischen Gründen entwendet wurde, sondern eher zu Zwecken der Machtdemonstration, als Prestigeobjekt, das dem Land der Kolonisatoren einen besonderen Status und eine besondere Reputation geben sollte.
Am Dienstag, dem 8. November 2022 führte die Literaturwissenschaftlerin (Komparatistin an der Universität Paderborn) Prof. Dr. Claudia Öhlschläger die Zuhörer*innen der Deutsch-Französischen Gesellschaft Paderborn mit Bildmaterial ins Humboldt-Forum nach Berlin.
Zunächst erläuterte sie die Baugeschichte des Humboldt Forums, das zwischen 2013 und 2020 auf dem ehemaligen Gelände des Berliner Schlosses und später des Palastes der Republik in DDR-Zeiten erbaut wurde. Es handelt sich um den teuersten Kulturbau Deutschlands. Dieses Ausstellungsgebäude beherbergt das ‚Ethnologische Museum‘ und das Museum für ‚Asiatische Kunst‘ mit mehreren tausend Ausstellungsexemplaren.
Frau Dr. Öhlschläger machte deutlich, dass Kunst Ausdruck kultureller Identität bedeutet und mit dem Raub dieser Kunstschätze vielen indigenen Völker diese Identität genommen wurde. Einige Völker sind im Zuge gewaltsamer kolonialistischer Übergriffe ausgestorben.
Die französische Kunsthistorikerin und Provenienzforscherin Bénédicte Savoy, die für die französische Regierung einen Bericht über die Restitution afrikanischer Kulturgüter verfasste, betont, dass der „Unrechtskontext“ bei der Aneignung von kolonialer Kunst bis heute verharmlost wird.
Seit der Diskussion um das Humboldt Forum hat sich auch in Deutschland die Meinung zur kolonialen Raubkunst verändert. Während bis in die 90er Jahre hinein diese Kunst unter Aspekten des ´Exotismus´ bestaunt wurde, interessieren sich immer mehr Museumsbesucher*innen und auch Wissenschaftler*innen dafür, woher die Kunstwerke kommen, durch welche Hände sie gingen und unter welchen Umständen sie von europäischen Kolonisatoren angeeignet wurden.
Frau Dr. Öhlschläger beleuchtete genauer den Ausstellungsraum des sogenannten ‚Luf-Bootes, das wegen seiner großen Ausmaße schon lange vor der Fertigstellung des Humboldt Forums in das Gebäude eingebracht wurde. Dazu erklärt in einem gezeigten Video der Historiker Götz Aly, dass dieses von der Insel Luf in Ozeanien stammende Boot zum Weltkulturerbe zählt und das einzige erhaltene Einbaum-Boot der Südsee weltweit ist. Es sei kein Nagel, kein Eisen zu finden, es biete 50 Menschen Platz und man habe ca. 1000 km weit damit reisen können. Es handelt sich somit um ein künstlerisch-handwerkliches Ausnahmewerk aus der Kultur Ozeaniens.
Bis heute werden völlig falsche Informationen zur Beschaffungsgeschichte des Bootes gestreut. So heißt es u.a., das betroffene Volk habe ‚freiwillig‘ aussterben wollen und deshalb hätten die Kolonisatoren das Boot mitgenommen. Aly kann in seinem Buch „Das Prachtboot“ (2021) an Quellenmaterial belegen, dass die ´Übergabe´ von fremdem Kulturgut im Kontext von brutalen Strafexpeditionen und Repressionen gesehen werden muss. Dieser Kontext findet bisher keine Berücksichtigung im Ausstellungsraum des Humboldt Forums.
Diese „mangelnde Kontextualisierung“ kritisiert Frau Dr. Öhlschläger scharf. Oft werde von ‚Tauschgeschäften‘ gesprochen und der Kontext von Unterdrückung und ausgeübter Macht außer Acht gelassen. Der koloniale Rahmen wird in kulturpolitischen Erzählungen oft klein gehalten, die Gewalt der Beschaffung verschleiert.
Allerdings betont Frau Dr. Öhlschläger in ihrem Vortrag, dass gute Ansätze einer „relationalen Ethik“ sichtbar sind. Es erfolgten inzwischen zahlreiche Restitutionen, für einige Objekte wird die Geschichte ihrer wahren Herkunft erzählt, man ist im Dialog und führt museale Kooperationen mit den indigenen Nachfahren durch. Nur das kann der Weg sein, Raubkunst und ihre Herkunft zu würdigen.
Die anschließende, durchaus kontroverse Diskussion mit dem Publikum bereicherte den hochinteressanten Vortragsabend.