Deutsch-Französische Gesellschaft Paderborn
Société franco-allemande de Paderborn
Der Sonnenkönig strahlt nicht mehr – Frankreich mit Emmanuel Macron
Ein Vortrag von Mathias Werth
Obwohl am selben Abend das Fußballspiel Paderborn gegen Dortmund lief, konnte die Deutsch-Französische Gesellschaft Paderborn stolze 57 Teilnehmerinnen und Teilnehmer an ihrem digitalen Vortrag von Mathias Werth zählen!
Mathias Werth – ein sympathischer Kenner des französischen Lebens und der Politik - agierte von 2014 bis 2019 als ARD-Korrespondent in Paris. Er fühlt sich immer noch seiner Heimat Ostwestfalen verbunden, wo er seine Anfänge als Journalist bei der Neuen Westfälischen erlebte. Später entwickelt er zahlreiche Reportagen und Dokumentationen, für die er viele Preise bekommt. Seine Anfänge in Paris sind geprägt von den Terroranschlägen auf Charlie Hebdo und dem Pariser Stadion, sowie dem Bataclan. Auch heute verfolgt er intensiv die französische Politik, obwohl Besuche in Frankreich seit fast einem Jahr nicht möglich sind.
Seiner Ansicht nach trifft die Erkenntnis Napoleons: „Man verdankt immer etwas dem Zufall,“ auf Emmanuel Macron zu. Der Skandal um den Konservativen François Fillon und die Zerrissenheit der Parteien in Frankreich erwiesen sich als günstig für die Wahl Macrons. Der 39jährige ist neu, jung, unbekannt und verspricht eine neue Welt. Er zeigt sich als Mann der ‚Sowohl als auch‘ – Politik und scheint so anders als die bisher etablierten französischen Parteien und Politiker.
In Frankreich, wo Legislative und Exekutive verschränkt sind, hat der Präsident mehr Macht als der amerikanische Präsident. So kommt es zu vielen schnellen Gesetzesänderungen gleich zu Beginn seiner Amtszeit. Zwar gibt es auch Proteste – das kennt man so aus Frankreich. Allerdings seien diese Proteste im Vergleich eher gemäßigt. Macron sei in seiner Amtszeit viel gelungen, so Mathias Werth.
Seit Mai 2017 ist er Präsident, seine Neuwahl 2022 ist allerdings sehr unklar. Die Menschen seien verängstigt, Autorität gefragt. War Macron zu selbstbewusst? Vom Mut zum Übermut seien es nur 5 Buchstaben, so Werth.
Den ersten Fehler, den Macron begeht, ist die Affäre um seinen Leibwächter, der auf Demonstranten einprügelt. Die Videoaufzeichnung sollte verschwinden. Macron äußert sich nicht dazu. Die Bewegung der Gelbwesten - zunächst als Protest gegen die erhöhten Benzinpreise gedacht - weitet sich aus und erfasst ganz Frankreich. Macron fehlt der Blick für die Sorgen der Menschen. Eine starke Opposition, die wichtig für demokratische Prozesse ist, fehlt in Frankreich. Reformen zeigen zwar Erfolge, Macron versucht auch mehr Bürgernähe zu schaffen, aber so richtig gelingt das nicht. Er besetzt sein Parlament an vielen Stellen neu. Jean Castex wird neuer Premierminister. Macron setzt Dezentralisierung, Modernisierung, sowie die Digitalisierung der Verwaltung Frankreichs in Gang. Seine Bürgerpartizipation begrenzt sich aber auf Beratung, Entscheidungen werden dort nicht gefällt. Immerhin werden viele Vorschläge, v.a. zum Thema Klimawandel, in Gesetze umgewandelt. Macron möchte die ‚grünen‘ Wähler zurückgewinnen. Frankreich soll moderner, grüner, nachhaltiger und sozialer werden.
Der neue, ehrgeizige Innenminister Gérald Darmanin erlässt ein neues Polizeigesetz, das das Filmen und Verbreiten dieser Filme von Polizisten im Einsatz verbietet. Erneut flammen Proteste auf.
Viele Franzosen haben den politischen Optimismus verloren, so Werth. Alle Präsidenten seit Chirac sagten, es gehe bergauf, aber es gehe nur abwärts. Perfekt sei die Regierung nur in gut formulierten Beschwichtigungen, so denken viele Franzosen.
Dann kommt Corona! Bis zur Wahl wird Macron nun an den Rettungsmaßnahmen aus der Krise gemessen. An den Feierlichkeiten zum 14. Juli, Frankreichs Nationalfeiertag, sind in diesem Jahr viele Menschen aus sog. systemrelevanten Berufen eingeladen. Es gibt Applaus für das Pflegepersonal. Die Rentenreform, die auch viele Proteste ausgelöst hatte, wird zunächst ausgesetzt.
Corona bedroht die Bevölkerung und die Politik Macrons. In Frankreich hat der Präsident zwar viele Befugnisse, ist aber auch für alles verantwortlich. Seine Pläne zur Strukturreform werden von Corona zunichte gemacht. Vieles klappt nicht. Zu wenig Masken, zu wenig Beatmungsgeräte… Castex Aufruf, die Corona-App herunterzuladen, wirkt unglaubwürdig, als er öffentlich sagt, er lade sie nicht herunter, da er ja nicht mit der Metro fahre.
Macron wird als ‚Beau-parleur‘, als Schönredner bezeichnet. Auch die Impfkampagne geht schief. Das Tempo ist viel zu langsam. Jetzt schreckt Macron davor zurück, einen dritten Lockdown anzuordnen, aus Angst vor Protesten und Gewalt. Das Virus sorgt für Misstrauen und Zweifel an der Handlungsfähigkeit der Regierung.
Bei der nächsten Wahl könnte die größte Konkurrentin die gemeinsame Kandidatin der Grünen und der Sozialisten Anne Hildago, jetzige Bürgermeisterin von Paris, sein. Als Konservativer ist Edouard Philipp beliebt, aber vielleicht zu zurückhaltend. Außerdem seien die Konservativen in sich sehr zerstritten. Und - sie haben keinen Bündnispartner wie die Sozialisten. Wenn die Konservativen ihre Stimme den Rechten geben, kann es gefährlich werden.
Mathias Werth zitiert eine Journalisten-Kollegin: „Ich mache mir Sorgen um dieses schöne Land.“
Und die deutsch-französischen Beziehungen? Hier gab es Kooperation beim EU-Rettungsschirm und der Kopplung an die Rechtsstaatlichkeit. Werth betont auch, dass viele Mitglieder des Kabinetts gut Deutsch sprechen. Werth unterstreicht, dass Deutschland und Frankreich einander brauchen. Sie sind die stärksten Wirtschaftsnationen in der EU. Die guten Beziehungen zwischen den beiden Staaten sieht Werth nicht gefährdet.
Im Anschluss an den Vortrag stellte sich M. Werth den Fragen seiner Zuhörer. Es gab viele positive Rückmeldungen an den Redner, aber auch an die Organisation der Veranstaltung, die von Birgit Kelliger, der Vorsitzenden der DFG moderiert und von Sylvain Victor, Vorstandsmitglied, technisch begleitet wurde. Alles klappte wie am Schnürchen, was ja auch nicht selbstverständlich ist.